
Johann Dorfmann ist in seinem Element. Wie das Messer durch die Butter saust seine Sense durch die kräftigen Kräuter, Blumen und Gräser hier oben auf der Glanger Alm. Wusch, wusch, wusch – Meter um Meter schreitet Johann voran und lässt mit jedem weiten Schwung seiner Sense einen großen, frisch geschnittenen Haufen hinter sich. Beim Mähen, da macht Altbauer Johann keiner etwas vor – auch nicht von den Jungen, die mit ihm in aller Herrgotts-Frühe auf die Alm gewandert sind, um selber einmal zu erleben, wie das früher war. Damals vor 40 bis 50 Jahren, als ihre Großväter und Großmütter noch mit ihrer Hände Arbeit mühselig das Heu in die Tenne schaffen mussten. „Schon damals hat halt niemands Letzter sein wollen“, erinnert sich der 83-Jährige. Das steckt ihm noch heute in Fleisch und Blut. In der Tat, das Mähen und anschließende Rechen ist harte Arbeit. Und genau die wollten die Teilnehmer bei der „1. Feldthurner Bergwoche“ ja auch kennenlernen. Aber auch der gemeinsame Spaß kommt an diesen beiden Tagen auf der Alm hoch oben über dem Südtiroler Eisacktal nicht zu kurz. Rund 20 Einheimische haben sich im vergangenen August zusammengetan, um eine fast vergessene Tradition wieder aufleben zu lassen: Das Almmähen nach alter Großväter Sitte. Egal ob Mann oder Frau, jung oder alt: Bis in die 1970er-Jahre wurden alle Menschen am Hof für diese wichtige Arbeit auf den steilen Bergwiesen benötigt, wenn auf den Bergbauernlehen und Almen rund um die Künstlerstadt Klausen die Heuernte anstand. Ob als „Moder“ (Mäher) oder „Rechner“, „Bockvoter“ oder „Tschogger“ – mit vereinten Kräften mussten in kürzest möglicher Zeit die steilen Bergwiesen mit der Sense gemäht, mit dem Rechen zusammengezogen und in die Tenne eingebracht werden. Zu groß war die Ungewissheit, ob nicht ein herannahendes Unwetter die Heuernte zunichte machen würde. Und gemeinsam ging die harte Arbeit einfach schneller von der Hand.
Um Sieben in der Früh gibt’ s Sylvaner als Wegzehrung

„Es gibt viele in der älteren Generation, die die Verbindung zur Natur, das Arbeiten und Schwitzen aus der Kindheit noch kennen und auch suchen“, erzählt Tourismusdirektor Christian Kerschbaumer. „Das wollen wir jetzt in unserer kleinen Gemeinde wieder aufleben lassen. Da gibt es noch genug Leute, die selber eine Sense in die Hand nehmen und Anderen zeigen können, wie das geht. Wir machen da kein Volksfest daraus, keine hunderte Menschen. Sondern nur einige Leute, die eine Freude daran haben, so wie ihre Großeltern auf der Alm zu arbeiten.“ Andreas Siegmund vom Schwarzielhof ist einer von ihnen, auch Christoph Weissteiner, Geschäftsführer der Weico GmbH, Helmut Tauber vom Hotel Taubers Unterwirt, Vizebürgermeister Patrick Delueg, Thomas Dorfmann, der Kellermeister der Eisacktaler Kellerei sind mit von der Partie. Altbauer Johann Dorfmann vom Obermoserhof ist mit 83 Jahren der Älteste. Keiner der anderen, die seine Söhne oder Enkel sein könnten, ist derart flink und präzise an der Sense wie er. Gelernt ist eben gelernt. Seine Sensenklinge hat der Johann in einer alten, handbemalten Scheide auf die Alm getragen. „Die hot mir 1944 unser Knecht in die Hand gedrückt, als er in den Kriag musste. ‚Wann i nimmer heimkumm, isch es Deine’, hot er gesagt. Er isch nimmer kemman.“
Wir Südtiroler gehen nie ohne einen Wein auf den Berg!

Um sechs Uhr in der Früh haben sich alle Teilnehmer, ausgestattet mit Rucksack, Leibkittel, Krachlederner und dem typischen blauen Südtiroler Schurz beim Garner Parkplatz getroffen, haben sich die alten Sensen und Rechen über die Schulter gestemmt und sind losmarschiert, hinein in einen frischen Bergtag. Auf halben Weg nach etwa einer Stunde gibt es eine erste Rast unterm Marterl auf einer Waldlichtung. Kellermeister Thomas entkorkt zwei Flaschen Eisacktaler Sylvaner, die schnell geleert sind. Wegzehrung für den restlichen Anstieg zur Glanger Alm. „Wir Südtiroler gehen nie ohne einen Wein auf den Berg“, erklärt er mir, als ich mich über den zeitigen Frühschoppen wundere. Und fügt scherzhaft hinzu: „Eigentlich dürfte ich gar nicht mitgehen da herauf. Mein Vater war vor 35 Jahren der Erste im Eisacktal, der eine elektrische Sense gekauft hatte.“
Frühstück wie zu Großelterns Zeiten: Milch und Brocken
Kurz vor Acht erreichen wir unser Ziel. Schon von weitem hat uns das lustige Leuten der Kuhglocken begrüßt. Bevor es zur Arbeit auf die Wiese geht, setzen sich erst mal alle um den frisch gedeckten Holztisch in der Glanger Alm. Die Bäuerinnen haben schon eine traditionelle, deftige Almkost mit Milch und Brocken – garantiert nicht kalorienreduziert – aufgefahren, damit später auch alle bei Kräften bleiben. Anschließend werden die Sensen gerichtet – wichtig ist, dass die „Flucht“ stimmt. Das ist die Schnitttiefe, die mit jedem Ausholen der Sense zustandekommt. „Der Winkel zwischen dem Worb (Sensenschaft) und der Sensenschneide bestimmt die Schnitttiefe, da hat jeder Senser seine Vorliebe“, erzählt Andreas Sigmund, der im Nebenberuf Obst- und Weinbauer ist. „Ich suche einen Drehpunkt der Sense, dabei lasse sich den Anfangs- und den Endpunkt als Referenzpunkte, nach denen ich sie ausrichte. Je breiter der Schnitt ist, desto mehr Gras wird pro Schnitt abgemäht. Je nach Grashöhe kann man das regulieren. Auf der Alm haben wir eher niedriges mageres Gras, deswegen stellen wir die Sense neutral ein, also einen mittleren Schnitt. Wenn man sie zu weit nach vorne stellt, reißt sie nach vorne und man ist nicht imstande die gesamte Schnittlänge durchzuziehen und man braucht mehr Kraft“.
Gesagt, getan. Nach dem Andreas auch meine Sense gerichtet hat, geht es endlich auf die Wiese, hinter der Alm, um eine Heuernte wie vor 50 Jahren einzubringen. Ein einzigartige Erlebnis, am eigenen Leib zu erfahren, wie arg die Bergbauern ackern mussten. Aber man lernt auf einen Schlag auch den respektvollen Umgang mit der Sense. Natürlich geht es bei den drei mitgekommenen Gästen nicht ohne Malheur ab, zu Beginn schießt das Sensenmesser immer wieder mal in die Erde. „Das kann eben nicht jeder“, lacht Andreas, der längst zu meinem Sensenmentor geworden ist. Er selber hat es noch in der Jugend gelernt. „Du kannst nicht einfach die Sense in die Hand nehmen und mähen, das haut nicht hin.“

Foto: Heiner Sieger
Das Heuen ist eines der besten Fitness-Erlebnisse
Doch Übung macht den Meister und spätestens nach einer halbe Stunde habe ich den Bogen raus. Aber puh – Büroarbeit ist ganz was anderes…Der Duft des frisch geschnittenen Grases, der grandiose Ausblick auf die herrliche Bergwelt der Dolomiten, die friedlich grasenden Kühe und so mancher deftige Scherz mit den schwitzenden Kameraden verschaffen mir das Gefühl, ganz bei mir selbst und genau zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein. Deng-deng, deng-deng, deng-deng – in schnellen rhythmischen Bewegungen zieht neben mir der Gustl seinen Wetzstoan über die Sensenklinge. Unter seinem Sennerhut läuft ihm der Schweiß über die Stirn. Er wetzt, was das Zeug hält. „Wetzn Gustl, wetzn!“, wird er angefeuert von sieben Bergkameradinnen und Kameraden, die sich ausruhen und um ihn herumstehen. Gustl findet tatsächlich noch Luft für ein breites Lachen. „Ihr kennts es ja selber besser moachen!“ Schließlich ist er fertig mit dem Wetzn und lässt die frisch geschärfte Sense wieder gleichmäßig durch das hohe Almgras sausen. Auch die Kameraden machen sich erneut an die Arbeit. Schließlich wollen sie bis zum Nachmittag möglichst viel von der Wiese mit ihren Sensen fertig geschnitten haben.

Zum Mittagessen waren die Bäuerinnen schon wieder eifrig und haben vor der Alm eine lange Tafel vorbereitet, dekoriert mit ein paar Sträußen bunter Wiesenblumen. Aus großen Kesseln schöpfen sie Plentene Knödel, Kaspressknödel und deftigen Krautsalat. „Wir haben das Ganze medizinisch durchleuchtet und festgestellt, das das Heuen eines der besten Fitness-Erlebnisse ist. Man stiftet einen Nutzen, trainiert den ganzen Körper, ist konzentriert, schaltet total ab und hat daher das beste Erholungserlebnis“, erzählt mir Christian Kerschbaumer während des Essens mit einem schelmischen Augenzwinkern. Nach der Mahlzeit wird es auch noch zünftig: Almwirt Georg Oberhofer packt seine „Quetschen“ aus und spielt und singt Südtiroler Volkslieder. Während einige der Männer im Gras liegen und in die Sonne blinzeln, ruft die 77-jährige Maria „Damenwahl“ und greift sich eine der jüngeren Burschen zum Tanz.
Die Nacht verbringen alle im Heu der Glangerschupfe
Die nächste Runde Rechen und Mähen verzögert sich, weil eine kurze Regenschauer über die Am streift. Als sich die Wolken verziehen, geht es noch mal nochmal für zwei Stunden zum Sensenschwingen und Rechen in die dampfende Wiese. Am späten Nachmittag heißt es dann Schlafplätze herrichten, denn die Nacht verbringen alle mit Leintuch, Schurz und Schlafsack im Heu der Glangerschupfe.

Doch vorher marschiert die gesamte Mannschaft noch eine gute halbe Stunde weiter rauf zur Radlsee-Hütte. Hier wird zu Abend gegessen, getanzt, gesungen und gefeiert wie anno dazumal, mit: Muaßpfonne, Rippelen mit Kraut, Bratl mit Erdäpfel. Auch Knödel, Plenten Proter und Saure Suppe stehen auf dem Tisch. Und natürlich ausgiebig roter und weißer Wein. Auch der eine oder andere Schnaps wird geleert. Das Wasser kommt frisch von der Quelle. „Wir bieten unseren Gästen in den Hotels jeden Tag ein fünfgängiges Menue“, vertraut mir Tourismus-Chef Kerschbaumer an. „Doch wenn ich mit den Gästen mal zu einem Bauern gehe und wir dort einen einfach Speck mit Schüttelbrot essen, ist das für Viele das eigentliche Highlight des Urlaubs.“ Da mag er Recht haben, es geht einfach nichts über die Magie von Ursprünglichkeit und Natur. Als geballtes Erlebnis wie auf der Feldthurner Bergwoche sind sie fast ein Gottesgeschenk.