Nun gibt es kein Zurück mehr. Im Rahmen einer tänzerischen Darbietung in der Hartmann-Fabrik wurde am Freitag, dem 25 Oktober 2024, das Programm der Kulturhauptstadt Europas 2025, Chemnitz, vorgestellt.
Und die Art der Präsentation sprach für sich: Keine Großkopferten aus Stadt und Land gaben den Ton ab, die waren natürlich auch da. Aber Bürgerinnen und Bürger sprachen sich für ihre Stadt Chemnitz und für ein Kulturprogramm aus, das aus ihrer Mitte kommt, und das nicht nur schön zum Anschauen sein, sondern Kristallisationskerne für wirtschaftliche Initiativen bilden soll. Eine Knallgas-Explosion aus Kultur und Handwerk in bester Tradition des Bauhauses, ein gemeinsamer Start sogar aus den Museen der beteiligten Gemeinden und von kreativen Köpfen, die dort die Anregung für neue Ideen gewonnen haben,
Im selben Jahr wird auch die slowenische Stadt Nova Gorica mit ihrer italienischen Schwester Gorizia den Kulturhauptstadt-Titel tragen, in guter Tradition, denn seit 1985 wird von der Europäischen Union jedes Jahr mindestens eine Stadt zur Kulturhauptstadt ernannt. Im Rennen um den Titel hatte sich Chemnitz im Oktober 2020 gegen die vier anderen Finalisten Nürnberg, Magdeburg, Hildesheim und Hannover durchgesetzt.
Kulturhauptstadt Chemnitz “Alle wollen dabei sein”
Eine parteipolitische Ranküne einer rechtsgerichteten Fraktion versuchte noch im Chemnitzer Stadtrat die Stadtverwaltung zu einer Beendigung des Projekts zu zwingen. „Die Herausforderung sei für eine Stadt wie Chemnitz zu groß“, so die fadenscheinige Begründung, aber die Begeisterung der Chemnitzer und der Menschen aus dem Erzgebirge, die alle bei dem Kultur-Fest mitmachen, fegte den Torpedierungsversuch vom Tisch.
Der Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze genoss in der Hartmann-Fabrik im Wirbel der Tanzenden, denen sich viele Besucher anschlossen, sichtlich, dass das Projekt Kulturhauptstadt Wurzeln geschlagen hat und kein Verbraten öffentlicher Gelder zu werden droht. Eine Kulturhauptstadt GmbH betreut das Projekt und diese konnte sich vor angebotenen Projekten kaum retten, berichtet der Theaterchef Christoph Dittrich: „Alle wollen dabei sein.“
Vorgestellt wurden am Freitag 150 Projekte und mehr als 1000 Veranstaltungen. Beginn von Chemnitz 2025 ist der 18. Januar 2025 mit 875 Akteuren, mit Partnern aus 40 Ländern, überwiegend aus Osteuropa. Schon heute haben sich mehr als 600 freiwillige Helfer registrieren lassen.
Chemnitz als als lebendiger, gastfreundlicher Ort
Das zentrale Motto des Programms lautet „C the Unseen“, wobei C das Kfz-Zeichen der Stadt ist und sich englisch wie „see“ ausspricht, zu Deutsch meint es eine Aufforderung zu sehen, was nicht direkt ins Auge fällt. Dass sich die sächsische Großstadt zusammen mit 38 Kommunen aus der Region ihren Gästen als lebendiger, gastfreundlicher Ort zeigt, ist denen bekannt, die die Gegend einmal besucht haben. Für alle anderen, die bislang an Sachsens drittgrößter Stadt, Chemnitz, der viertgrößten, Zwickau, und dem Erzgebirge vorbeigefahren sind, gibt es in der Tat viel Ungesehenes zu entdecken.
Die „kulturelle Leuchttürme“ aufzuzählen, würde den Platz sprengen. Das umfangreichste Projekt dürfte der Kunst- und Skulpturenweg PURPLE PATH sein. Es ist eine einzigartige Ausstellung zeitgenössischer Kunst im ländlichen, öffentlichen Raum. Die Werke von u.a. Alice Aycock, Sean Scully, Bettina Pousttchi, Jay Gard, Tony Cragg, Friedrich Kunath oder Nevin Aladağ stellen über die Orte, an denen sie installiert wurden, ihre Form, ihre Materialität oder Entstehungsgeschichte, einen Bezug zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft her. Sie knüpfen darüber hinaus ein symbolisches Band zwischen den Kommunen der Region sowie zwischen dem ländlichen Raum und der Stadt Chemnitz, in der Werke wie der markante leuchtende Schornstein, die Arbeit „7 Farben für einen Schornstein“ von Daniel Buren, ebenfalls Teil dieses Kunstweges sind.
Realismusbewegungen im Chemnitz der 1920er und 1930er Jahre
Das Industriemuseum Chemnitz vergleicht in seiner Ausstellung „Tales of Transformation“ die Entwicklung ehemaliger europäischer Industriestädte miteinander. (April–November 2025). Die Kunstsammlungen Chemnitz zeigen mit der Ausstellung „European Realities“ die vielfältigen Realismusbewegungen der 1920er und 1930er Jahre. (Museum Gunzenhauser, April–August 2025). Eine zweite große Schau widmen die Kunstsammlungen dem norwegischen Maler Edvard Munch und dem Thema Angst in Wechselwirkung mit verschiedenen zeitgenössischen Positionen. (August–November 2025).
Bereits eröffnet hat das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (smac) die erste große Ausstellung für Chemnitz 2025. „Silberglanz und Kumpeltod“ beleuchtet die Geschichte des Bergbaus, der die Region bis heute prägt, und die damit verbundenen Herausforderungen für die Zukunft. (smac, bis Juni 2025).
Das Theater Chemnitz bringt mit „Rummelplatz“ ein Stück Bergbaugeschichte auf die Bühne. Basierend auf dem gleichnamigen Roman des 1934 in Chemnitz geborenen Autors Werner Bräunig über die Wismut, erarbeiten der Komponist Ludger Vollmer und die Autorin und Booker-Prize-Gewinnerin Jenny Erpenbeck eine neue Oper als Auftragswerk (Uraufführung September 2025).
„Europäische Werkstatt für Kultur und Demokratie“
Ein zentrales Element im Programm für Chemnitz 2025 ist die „Europäische Werkstatt für Kultur und Demokratie“ zur Aktivierung und Stärkung der Zivilgesellschaft. Über 250 Anträge mit Projektideen für das Kulturhauptstadtjahr sind im Rahmen dieses Programmfeldes eingegangen. Etwa 60 Projekte werden umgesetzt, mit Fokus auf das Zusammenwirken verschiedener Generationen, auf Diversität und Inklusion sowie Kooperationen zwischen Deutschland, Tschechien und Polen. 2025 machen die Menschen ihre Stadt und den ländlichen Raum zu einer großen Bühne für ihre eigenen Geschichten, die im vereinten Deutschland bislang oft überhört wurden. Sie verorten sich selbstbewusst in der Gegenwart: als Europäer.
Das Projekt Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 ist langfristig angelegt. Es hat mit dem Bewerbungsprozess begonnen, kulminiert im Titeljahr und wirkt nach, indem es die Zukunft der Stadt und der Region verändern soll.
„Wir zeigen, dass Kultur ein zentraler Motor für Innovation und gesellschaftlichen Wandel ist und damit ein Schlüssel zu einer lebendigen und zukunftsfähigen Stadtgesellschaft“, sagt Andrea Pier, Geschäftsführerin der Chemnitz 2025 gGmbH. „Das Projekt Kulturhauptstadt Europas hat eine immense wirtschaftliche und kulturpolitische Bedeutung für Chemnitz und die gesamte Region. Es geht nicht nur darum, kulturelle Vielfalt zu präsentieren, sondern auch darum, langfristige Strukturen zu schaffen, die das wirtschaftliche Potenzial der Region nachhaltig stärken. Durch Investition in Kultur entwickeln wir neue Perspektiven für eine lebenswerte Stadt. Das ist vor allem jetzt, wo vielerorts Mittel gekürzt werden, ein starkes kulturpolitisches Signal.“