Die Franches-Montagnes, zu Deutsch Freiberge, rücken in der Welschschweiz nahe an die französische Grenze heran. Bei der etwas abgeschiedenen Randlage bieten sie erholsam ruhige Ferien vom Feinsten. Wanderer, Biker und Reiter finden eine offene Natur- und Parklandschaft mit intakter bäuerlicher Kultur. In den weiß gekalkten behäbigen Einzelhöfen im Freiberger Stil leben Mensch und Vieh unter einem Dach. Das leicht wellige Hochplateau bietet neben dem Wald viel Weideland. Vor allem die malerischen Wydweiden, vom Ackerland abgegrenzt durch uralte Trockenmauern, mit einzelnen Nadelbäumen als Schattenspender für das Vieh.
Neben der Milchwirtschaft spielt die Zucht der einzigen Schweizer Pferderasse eine große Rolle. Von den umgänglich-robusten „Freibergern“, einem beliebten Familienpferd, schwärmt Beat Koelliger. Er ist kein Pferdezüchter, vielmehr Verleger; hat aber ein großes Herz für Pferde und ist Präsident der „Stiftung für das Pferd“. So sitzt er auf der Terrasse des Gutes „Maison Rouge“ bei Les Bois und wirbt für das Pferdealtersheim: Auch Pferde hätten ein Anrecht auf einen würdigen Lebensabend! Den haben seine 80 Schützlinge. Hinter den architektonisch anspruchsvollen Holzställen grasen die alten Freiberger zusammen mit einigen Fohlen. Über 50 Hektar Jura-Hochplateau stehen ihnen zur Verfügung. Koelliger ist begeistert von der Fernsicht: Der weite Horizont liege oft tiefer als der eigene Standtort auf etwa 1000 Metern. Besucher seien herzlich willkommen, auch auf den Weidewegen.
Die Gemeinde Saignelégier ist der Hauptort der Franches-Montagnes. Wenige Kilometer entfernt liegt das wunderschöne Naturschutzgebiet Étang de la Gruère, eine in der Schweiz einzigartige Moorlandschaft, wie Toinette Wisard von Jura Tourisme erklärt. Auf dem mit Holzplanken gesicherten Rundweg um den Moorsee hat man zwischen Föhren und Fichten herrliche Ausblicke auf das schwarz-braune Wasser, in dem sich Stockenten und Blässhühner tummeln, auf die große Halbinsel mit dem meterhoch aufgewölbten Hochmoor, auf Feuchtwiesen und Wassergräben. Abseits der üppigen Heidelbeersträucher zeigt Toinette den im Sommer gelb blühenden Teichenzian, den krautigen Fieberklee in Gesellschaft mit meterlangen Teichbinsen und dem rot-braunen Sumpf-Blutauge.
Im 2500 Einwohner großen Saignelégier findet jedes Jahr am zweiten August-Wochenende die größte Veranstaltung des Kantons Jura statt: der schon über hundert Jahre alte Marché-Concours national des chevaux, ein Pferde- und Wagenrennen mit Freiberger Pferden. Traditionell reitet man ohne Sattel und Steigbügel. Ein Höhepunkt sind die römischen Streitwagen mit vier Pferden. In Anlehnung an das bekannteste Pferderennen der Filmgeschichte wird beim Einzug der Kontrahenten die Filmmusik aus „Ben Hur“ gespielt.
Nur 15 Kilometer östlich liegt das ehemalige Prämonstratenserkloster Bellelay mit seiner imposanten Barockkirche, die 2014 mit zahlreichen Konzerten ihr 300-jähriges Jubiläum feiert. Die Chorherren haben in Bellelay schon im 12. Jahrhundert einen halbharten Käse hergestellt, der heute den Namen Tête de Moine (Mönchskopfkäse) trägt, einen von Gourmets geschätzten Rohmilchkäse. In dem mächtigen ehemaligen Produktionsgebäude mit historischer Schaukäserei und Museum sollte man den Käse in seinen Reifungsstufen probieren. Didier Stender, der Museumsleiter, mahnt: Natürlich dürfe er nur mit der Girolle, einem Käsehobel, hauchdünn geschabt werden, damit das blumig-würzige Aroma verstärkt zur Geltung kommt. Wegen der geschützten Ursprungsbezeichnung werde der Tête de Moine nur von Molkereien in der Region hergestellt aus der Milch der Vertragsbauern.
Nach der Auflösung des Klosters entsteht um 1800 in den Gebäuden eine Uhrenfabrik. Nichts Ungewöhnliches. Schon länger stellen die Jura-Bauern im Winter Uhrenteile in Heimarbeit her, die ein Patron von Uhrmachern zusammensetzen lässt. Das im Hochjura auf rund 1000 Metern liegende Bauerndorf La Chaux-de-Fonds mit seinen Uhren-Heimarbeitern wird 1794 von einer Feuersbrunst heimgesucht, erzählt die örtliche Fremdenführerin Claudine Bühler. Ganz nach den Bedürfnissen der Uhrenindustrie wird der Ort neu aufgebaut: Schachbrettartig verlaufen die breiten Straßen nach Südwest, damit die Feinmechaniker an den Werkbänken genügend Sonnenlicht bekommen. Die Arbeit ist stark spezialisiert. 48 Zünfte arbeiten an einer Uhr, so Bühler. Laufburschen tragen Einzelteilserien von Zifferblättern und Zeigern, Zahnrädchen oder Uhrengehäusen von einer Manufaktur zur anderen.
Das Geschäft blüht! Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat das baufreudige La Chaux-de-Fonds über 35.000 Einwohner. Die Patrons lassen ihre neuen Fabriken und Häuser mit Jugendstil-Dekor schmücken. Heute gehört der Ort zum Welterbe der UNESCO wegen der außerordentlichen Symbiose zwischen Uhrenindustrie und Städtebau. Der Ort lieferte vor dem Ersten Weltkrieg die Hälfte der Uhren-Weltproduktion. Firmen mit klingenden Namen finden sich hier: Breitling, Ebel, Girard-Perregaux, Omega oder Tissot. Nach der von den billigen Quarzuhren aus Fernost ausgelösten Uhrenkrise der 70er Jahre sind mechanische Luxusuhren wieder weltweit gefragt.
Ein Newcomer in diesem exklusiven Segment ist in La Chaux-de-Fonds die 2004 gegründete Uhrenmanufaktur Greubel Forsey. Bei der Uhrenpräsentation versichert Firmensprecherin Angela Landone wie selbstverständlich: die Modelle beginnen bei über 300.000 Euro. Für jede der jährlich hergestellten hundert Uhren brauche man etwa drei Monate. Dies zeigt sich in der Produktionshalle: Da sitzt der kleine schnauzbärtige Feinmechaniker Gilles am Mikroskop, um minutenlang ein 2 mm Schräubchen nachzubearbeiten. Geduld brauche man bei der Arbeit schon, meint er trocken.
Doch neben Uhrenluxus ist in La Chaux-de-Fonds auch normale Uhrenwirklichkeit zu Hause, etwa im Atelier von Sebastiano Arcidiacona. In seiner Werkstatt kann sich jeder selbst an der Endmontage einer Armbanduhr versuchen. Professionell mit weißem Arbeitskittel und Augenlupe sitzt man am Werktisch und folgt den Weisungen des Meisters. Das Einjustieren des Zifferblatts lässt sich bewerkstelligen, schwieriger ist die Übernahme des Sekundenzeigers mit der Pinzette. Monsieur Sebastiano rät eindringlich: „Bitte nicht atmen!“ Später dann großes Aufatmen, als das Uhrwerk manuell eingeschaltet und der Boden geschlossen ist. Zum Abschluss bekommt jeder Teilnehmer vom Meister mit Handschlag eine Urkunde mit Stempel und Unterschrift. Er empfiehlt, auf alle Fälle im Ort das Internationale Uhrenmuseum zu besuchen, die kompletteste Sammlung in der Schweiz. Sie zeigt eine Weltgeschichte der Zeitmessung.
Südwestlich von La Chaux-de-Fonds liegt das Val de Travers, ein Quertal des Jura. Etwas quer lägen auch die Absinthproduzenten des Tals, in dem das Rezept im 19. Jahrhundert erfunden wurde. Dies sagt schmunzelnd der 89-jährige Nicolas Giger in Boveresse in seiner denkmalgeschützten Absinth-Trockenscheune – er war übrigens Uhrenmechaniker. Trotz eines fast hundertjährigen Verbots des Modegetränks bis 2005 wurde die „Grüne Fee“ heimlich hergestellt. Giger, Präsident der regionalen Absinth-Route, meint in Anspielung auf sein Alter: Der angeblich toxische Stoff Thujon könne nicht so schlimm sein – er trinke täglich drei Gläser Absinth. Einige Straßen weiter outet sich sein Freund Francis Martin als ehemaliger Schwarzbrenner. Jetzt produziert der Destillateur ganz offiziell sieben Absinth-Sorten. Die gut 10.000 Liter gehen auch nach Deutschland und Kanada. Seine Rezepturen verrät er natürlich nicht, aber in seinem schönen Garten zeigt er die Basis-Kräuter: Wermutkraut, Ysop, Zit
ronenmelisse und Minze. Dann zelebriert Francis Martin in der gemütlichen Probierstube das Trinkritual für seine neue geschmacksintensive Kreation „L´Originale“ 72˚. Vorsichtig lässt er Eiswasser aus der „Fontaine“, einem tönernen Wasserspender, auf den löchrigen Absinthlöffel rinnen, bis sich der darauf liegende Zuckerwürfel aufgelöst hat und der Absinth im darunter stehenden Glas die richtige milchige Mischung gefunden hat. Dann: „Santé!“
© Text und Fotos: Norbert Linz
Infos
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www.jurabernois.ch/de
www.routedelabsinthe.com
Uhrenmontage mit S. Arcidiacona, Espacité 1, Chaux-de-Fonds; Tel. 0041 32 889 6895, max. 5 Pers., pro Gruppe CHF 130. –
Reiseführer und Karten:
Die Jura-Region wird ausführlich beschrieben mit vielen Tipps im Schweiz-Führer vom RKH-Verlag.
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