Heidiland im Aufbruch
In der Bündner Herrschaft machen die Frauen mobil
In der Bündner Herrschaft scheint die Welt noch in Ordnung. Da, wo der Sage nach Johanna Spyris Heidi beim Almöhi glücklich war, sind die Häuser schmuck und die Kirche bleibt im Dorf. Über allem thronen die Berge, an deren Hängen der Wein wächst wie in alten Zeiten. Und doch hat die neue Zeit auch hier Einzug gehalten – und einiges an Veränderungen mit sich gebracht.
Auch die Vorfahren von Christian Marugg (61) in Fläsch haben schon Wein angebaut. Den alten Weinkeller, wegen der Weinpresse Torkel genannt, hat der Bauer, der zum Winzer wurde, vor kurzem reaktiviert – für Weinverkostungen und gesellige Runden. Im neuen Weinkeller ist alles perfektioniert, da lässt sich auch die Gärung besser steuern. Verantwortlich für die Kelterung ist Junior Jürg (35), der 2009 die Meisterprüfung als Winzer gemacht hat und immer wieder was Neues ausprobieren will. Den Roten nach Portwein-Art zum Beispiel, der zehn Jahre im Holzfass reifen soll. Oder den Walser Trank, ein Cuvée aus Bündner und Walser Trauben. Der Senior mit dem grauen Haarschopf über dem kantigen Gesicht lächelt so stolz wie nachsichtig ob der Experimentierfreude des Sohnes. Zwischen 30 und 35 000 Flaschen Wein pro Jahr produziert der Fläscher Familienbetrieb in guten Jahren. 2013 aber war die Ernte eher bescheiden, die Fässer sind fast leer.
Auch bei Carina Lipp-Kunz in Maienfeld ist der Wein-Vorrat geschmolzen. Vor allem der im Barrique ausgebaut Pinot Noir macht sich rar. Er stammt vom Saft 40-jähriger Reben, die noch die Oma gepflanzt hat. „Zwei Generationen später kann ich die Trauben auf ihrem Höhepunkt nutzen“, erklärt die 37-jährige Mutter von drei kleinen Kindern, die sich als Etiketten-Poetin einen Namen gemacht hat. Denn die schlanke Frau mit dem burschikosen Pferdeschwanz schreibt ihre Gedanken und Gefühle auf die Etiketten. „Wurzel-Heimat-Glück“ kann man da lesen, „Zeit-Lebensfreude-Liebe“ oder „Quelle-Inspiration-Freude“. Die gelernte Tourismusfachfrau gestaltet aber nicht nur die Etiketten, sie „macht“ auch den Wein, während Ehemann Reto für die Brände zuständig ist. Den Weinbau hat Carina Kunz vom Vater abgeschaut, dem sie in den Sommerferien bei der Lese half. Aber sie hat auch Fachkurse an der Forschungsanstalt für Weinbau besucht, weil sie alles über den Wein wissen wollte, der ihr inzwischen zur Leidenschaft geworden ist. Von einer computergesteuerten Gärkühlung hält Carina Kunz wenig, sie arbeitet lieber mit Gefühl, Kopf und Hand. „Vielleicht ist das auch weiblich“, sagt sie und lacht. So weiblich wie die Idee, die rund 1300 Flaschen ihres besten Weins mit eigenen Ideen zu beschriften – von Hand. „Ich möchte dem Wein eine Stimme geben“, begründet die Winzerin die Idee, „eine Brücke bauen zwischen den Weinmachern und den Weintrinkern.“
So eine Brücke ist auch der „Alte Torkel“ in Jenins. In früherer Zeit wurden in dem unscheinbaren grauen Bau die Trauben des Dorfes gepresst. Ein wuchtiger Torkelbaum zeugt bis heute davon, auch Barrique-Fässer gibt’s hier noch. Daneben Regale mit Hunderten von Weinflaschen, die von Winzern aus der Bündner Herrschaft stammen. Wirtin Susanne Bucher(54)hat den Raum liebevoll ausgeschmückt, mit Blütendekorationen, Kräutern, Kerzen. Die fröhliche Blondine ist seit 1999 die Seele die Seele des Betriebs und ihr helles Lachen gehört zur Magie des Alten Torkel wie derwunderschöne Blick von der Terrasse über die Weingärten hinüber nach Bad Ragaz.
Frauenpower auch im traditionellen Kurort: Die Stiftung Frauenverein, vor 100 Jahren von bürgerlichen Frauen als soziale Einrichtung gegründet, hat 2011 das Hotel Tamina erworben und aufgefrischt. Direktorin des Sorell-Hotels ist seit einem Jahr die Rätoromanin Monica Weber (57), die Wert darauf legt, dass es zwischen Hotel und Führung „auch emotional stimmt“. Im Tamina, sagt sie, sei viel Herzblut investiert worden. Jetzt könnten „Werte, die uns bewegen, auch gelebt werden“. Das heißt freilich nicht, dass Männer draußen bleiben müssen, wenn drinnen getafelt wird. Selbst im Frauenverein sind die Herren mittlerweile vertreten – „auch da herrscht Emanzipation“, so Monica Weber.
Emanzipiert sind auch die zwei Frauen, die vor kurzem im nahen Malans das stattliche Hotel und Restaurant Weiss Kreuz übernommen haben. Sommelière Claudia Vogl-Baki (30)aus Augsburg und Iris Petermann (60), Frau des Spitzenkochs Horst Petermann, wollten schon lange „zusammen etwas machen“. Kennen gelernt hatten sich die kleine Dunkelhaarige und die große Blonde in „Petermann’s Kunststuben“ in Küsnacht. Dass sie einmal in Malans landen würden, hatten sie da nicht gedacht. Doch Ernst Lehmann, der für sein Haus neue Pächter suchte, ließ nicht locker und er hat den beiden Frauen auch architektonisch „jeden Wunsch erfüllt, so dass wir so richtig durchstarten können“ (Vogl).
Das taten Claudia und Iris denn auch, sie krempelten die Ärmel hoch, machten den in Pirna geborenen Stefan Jäckel, der zwischenzeitlich ebenfalls in den Kunststuben gearbeitet hatte, zum Küchenchef – und wurden vom Erfolg „fast ein bisschen überrollt“. Dabei hatten die beiden Gastgeberinnen anfangs mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Vorgänger machte ihnen das Leben schwer, und das Team zusammenzustellen war nicht ganz einfach.
Doch der Hausherr, der sich aus sieben Hotelzimmern eine Wohnung gegönnt hat, hielt zu ihnen. Er wollte schließlich ein Hotel, in dem er jeden Tag essen kann. Auch die Malanser freundeten sich schnell mit der neuen Frauenpower im Ort an, der Stammtisch ist wieder gut besetzt. Und die Gäste kommen auch von weiter her. Vielleicht liegt es daran, dass die Frauen „nicht so viele Kompromisse bei der Qualität“ machen, wie Claudia Vogl sagt. Dass sie aber auch keinen Gourmet-Tempel wollten, sondern Klassikern wie Tafelspitz oder Wiener Schnitzel eine Chance geben. „Auf die Karte kommt, was wir gerne essen, wenn wir essen gehen“, sagt Iris Petermann. Mit ihren zarten Blumenarrangements bringt sie die schönen Stuben im Weiss Kreuz zum Leuchten, und draußen auf der großen Terrasse unterm Sternenhimmel und mit Blick auf die Berge schmeckt Stefan Jäckels Zandercarpaccio mit gebratener Langustine, Avocado und Mango gleich doppelt so gut ebenso wie die knusprig gebratene Ente an Orangensauce und der warme Schokoladenkuchen mit Erdbeercarpaccio und Kokosnusseis. Sternekoch Horst Petermann, der dreimal „Koch des Jahres“ war und zusammen mit Philippe Rochat das einzige „Membre de la Haute Cuisine de France“ außerhalb Frankreichs ist, sieht’s wohl mit Wohlgefallen. Der gebürtige Hamburger überlässt den Frauen die Macht und begnügt sich mit der Berater-Funktion.
INFO:
Wohnen:
Hotel Weiss Kreuz, Dorfplatz 1, CH-7208 Malans, weisskreuzmalans.ch
vier originell gestaltete Doppelzimmer, Zimmerpreis mit Frühstück 250 Euro unter der Woche, 300 Euro am Wochenende.
Winzer:
Weingut im Polnisch, Familie Marugg, Oberdorf 29, CH-7306 Fläsch, www.marugg-weinbau.ch
KUNZ – Weingut und Destillerie, Carina und Reto Lipp-Kunz, Fläscherstrasse 2, CH-7304 Maienfeld, www.kunz-keller.ch
Essen & Trinken:
Weinstube Alter Torkel, Jensinserstr. 3, CH-7307 Jenins, www.torkel.ch
Sorell Hotel Tamina, Am Platz 3, CH-7310 Bad Ragaz, www.hoteltamina.ch
Hotel Weiss Kreuz (siehe oben)
Informieren:
Heidiland Tourismus, Valenserstr. 6, CH-7310 Bad Ragaz, Tel. 0041/81/7200821
www.heidiland.com/de