Der Schweizer Kanton Wallis gilt als abgelegen und eigenwillig. Umso größer die Überraschung, mit welcher Aufgeschlossenheit hier Gäste empfangen werden. In luftigen Höhen, fruchtbaren Tälern und romantischen Städten breitet sich die ganze Vielfalt einer Alpenregion aus, die rund um Visp, Brig, auf der Riederalp und in Zermatt besonders reizvoll ist.
Auf den Dächern der traditionellen Walliser Holzhäuser liegen Steine. Oft genug viele Steine, abgeschliffen von Wind und Wetter, Sonne, Schnee, Frost und Regen. Runde und zackige, große und kleine Steine. Manchmal gleichen die Dächer einem Steingarten, doch sie haben natürlich einen ganz anderen Zweck: Sie stabilisieren die Holzziegel und halten im Winter Schneeabgänge auf. Das ist aber nicht alles. Einem alten heidnischen Brauch zufolge hält der jeweils größte der Steinparade böse Geister vom Haus fern. Und zur Verteidigung bereit sind hier in einer der traditionellsten Schweizer Regionen sogar die Kühe. Auf den Walliser Weiden steht die weltweit einzigartige Rasse der Ehringer: Kämpfende Kühe, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Hierarchie in der Herde ausfechten. In einer solch wehrhaften Ecke der Walliser Alpen erwartet man auch mehr oder weniger raue Gesellen und misstrauische Menschen. Doch weit gefehlt: „Wenn ein Walliser sie einmal ins Herz geschlossen hat, haben sie einen Freund fürs Leben“ sagt man hier rund um Brig, Visp und auf der Riederalp. Und das völlig zu Recht, das wird auf einer Reise durch das Wallis sehr schnell deutlich. Seen, Berge und Rebgärten, verträumte Städte wie Visp, Brig, Martigny und Champex-Lac, lebendige Städte wie Sion oder Zermatt, ursprüngliche Dörfer wie Ausserberg, Raron oder Mund, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint: Wer über Furka- und Grimselpass das Vispertal erreicht, staunt zunächst über die üppige Vegetation im Rhonetal, die einige besondere Spezialitäten hervorbringt. Hier wachsen nicht nur edle Weine, sondern auch der Safran, jenes Gold des Mittelalters, das noch heute in der Gastronomie wie in der Medizin einen hohen Stellenwert besitzt. Visp ein guter Ausgangspunkt für Touren in die umliegenden Berge, Täler und Naturschönheiten. Das 6700-Einwohner-Städtchen wird oft als Industriestandort verkannt, dabei bietet es in seinem historischen Kern viel südländisches Flair, Urschweizer Weinkultur und modernen Lebensrhythmus.
Heida- und Rilke-Wein
Selbst an Superlativen mangelt es nicht rund um Visp. Im Sommer ist das die wärmste und niederschlagsärmste Ecke der gesamten Schweiz. Und die Winzer von Visperterminen nennen den höchsten Weinberg Europas ihr Eigen. Hier wächst der Heida-Wein, der auf der ganzen Welt berühmt geworden ist, weil er prominente Fürsprecher wie zum Beispiel Tina Turner hat. Das braucht er eigentlich gar nicht, denn er ist von besonderer Qualität, Fruchtigkeit und Würze. Auf einem Reblehrpfad erfährt man alles Wissenswerte rund um den Heida, der vermutlich im 14. Jahrhundert ins Vispertal kam und dessen Name so viel bedeutet wie Fremder. Keineswegs fremd fühlte sich der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke in dieser Gegend, denn er suchte sich ein kleines Dorf in der Nähe von Visp als letzte Ruhestätte aus: In Raron liegt Rilke begraben. Der Blick von der barocken Burgkirche aus, die unmittelbar darunter in den Berg gehauene Felsenkirche und die verwinkelten Gassen sind schon alleine einen Abstecher wert.
Munder Gold
Das trifft auch auf den Safranort Mund zu, den in Mitteleuropa letzten verbliebenen Standtort des Safrananbaus. Der Munder Safran ist von besonderer Qualität, kommt aus der Kaschmir-Region und wird von den rund 200 Zunftmitgliedern gehegt und gepflegt. Er geht bis ins 15. Jahrhundert zurück und diese Safran-Tradition wird hier engagiert lebendig erhalten. Im Dorfladen gibt es von Safran-Nudeln über Safran-Brot bis zum Munder Gold, einem „geistreichen Wasser“ die dazugehörigen Produkte, mit denen man sich auf einer kleinen Wanderung entlang der Suonen stärken kann, jenen offenen Wasserleitungen, die hoch oben im Gebirge ihren Anfang nehmen und das kostbare Nass zur Bewässerung der Wiesen und Äcker bis hinunter ins Tal transportieren.
Ewiges Eis
Bestaunen kann man auch das „ewige Eis“ am Aletschgletscher, das durch den Klimawandel leider immer weniger wird. Die Aletsch Arena ist ein beeindruckendes Erlebnis, sie ist nicht nur die der Heimat des Großen Aletschgletschers. Typisch „urchige“ Walliser Häuser, Chalets und Hotels verleihen der familienfreundlichen Urlaubsregion ihren Charme. Die malerischen Dörfer auf dem Sonnenplateau sind autofrei, so kann man ungestört Wandern, Fahrradfahren, Drachenfliegen und die Bergwelt mit ihren regionalen Spezialitäten genießen.
Der 23 Kilometer lange Aletschgletscher ist eines der spektakulärsten Naturwunder in den Alpen und das Herz des UNESCO-Welterbes Swiss Alps Jungfrau-Aletsch. Einen wunderbaren Blick auf den Eisriesen hat man vom Aussichtspunkt Moosfluh. Seit Beginn der Industrialisierung um 1850 haben die Gletscher in den Alpen etwa ein Drittel ihrer Fläche und die Hälfte ihrer Masse verloren. Der größte unter ihnen, der Aletschgletscher, ist allein in den letzten 40 Jahren mehr als 1,3 Kilometer abgeschmolzen. Und das Tempo der Gletscherschmelze wird weiter steigen: Gletscherforscher rechnen mit einem fast vollständigen Abschmelzen noch in diesem Jahrhundert. Doch was folgt, wo sich einst Eisriesen ins Tal schoben? Pauschal lässt sich das nicht beantworten, da jeder Gletscher seine eigenen Regeln befolgt. Im Aletschgebiet wird eine arktische Seenlandschaft entstehen, mit Eistunneln, Gletschertoren und einem der größten Seen der Alpen, meint der Schweizer Glaziologe David Volken. Außerdem werden sich oberhalb der 2000-Meter-Marke Arven- und Lärchenwälder ansiedeln. Wer von der Aletsch Arena aus den Zustieg zum gewaltigen Gletscher geschafft hat, wird das blau schimmernde Eis und die metertiefen Schluchten, Spalten und Risse mit ihren bizarren Formen und dem gurgelnden Schmelzwasser so schnell nicht wieder vergessen. Schwer vorzustellen, dass der mächtigste Gletscher des Alpenraums einmal nicht mehr da sein könnte. Zwangsläufig bewusst wird einem die Vergänglichkeit des Anblicks auf einer Gletscherwanderung mit einem erfahrenen Bergführer: Trotz seiner gigantischen Ausmaße und einer Dicke von bis zu 900 Metern machen dem Großen Aletschgletscher warme Sommer und die steigende Schneefallgrenze zu schaffen. Das ewige Eis schmilzt. Vor der Kulisse von Eiger, Mönch und Jungfrau wird das abfließende Gletscherwasser die Landschaft in den nächsten Jahrzehnten grundlegend verändern. In der geschichtsträchtigen Villa Cassel, einem CO2-neutral betriebenen historischen Gebäude, kann man im Pro Natura Zentrum Aletsch sich ein umfassendes Bild von dieser Entwicklung machen. Das erste Naturschutzzentrum der Schweiz zeigt in einer Ausstellung unter anderem den rasanten Eisverlust des größten Alpengletschers innerhalb der vergangenen 40 Jahre.
Die Villa Cassel ist ein viktorianisches Refugium in den Schweizer Alpen. „Bergluft macht gesund“ sagte Ende des 19. Jahrhunderts der königliche Leibarzt zu Ernest Cassel. Der schwerreiche britische Bankier, der als junger Bankangestellter seiner Heimat Köln den Rücken gekehrt hatte, folgte dem ärztlichen Rat und begab sich in die Walliser Berge, wenn auch widerwillig. Es wurde Liebe auf den zweiten Blick. Cassel ließ sich unweit des Aletschgletschers ein ganz und gar unbescheidenes Feriendomizil bauen, in dem er jahrelang seine Sommer in Gesellschaft illustrer Gäste aus der britischen High Society verbrachte, eben jene Villa Cassel. Heute ist das geschichtsträchtige Haus für Pensionsgäste und Besucher geöffnet, kostenlos dazu gibt es eine atemberaubende UNESCO-geschützte Gebirgslandschaft und reinste Bergluft, die zum Auf und Durchatmen einlädt.
Gornergrat und Matterhorn
Einsteigen, genießen und entspannt ankommen: Mit der Gornergrat Bahn fährt man hinauf auf den Gornergrat , hier eröffnet sich nicht nur der einzigartige Blick auf das Matterhorn und weitere 28 Viertausender, sondern auch auf einen neuen Alpingarten, der auf 5000 Quadratmetern über 150 Pflanzenarten präsentiert. Auch die Fauna und Flora des Simplons ist ein besonderes Highlight, denn das Hochmoor auf dem Simplonpass ist ein geschütztes Gebiet rund um den Hopschusee, in dem man die Kräfte der Natur eindrucksvoll spürbar sind. Eine Wanderung auf dem historischen Stockalperweg rundet das Wallis-Erlebnis ab, das lange in Erinnerung bleibt und sicher zur Wiederkehr verführt.
Informationen
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Text/Fotos: Copyright Jörg Berghoff