Taipeh sehen, schmecken und fühlen

Straßenszene im ältesten Stadtviertel Taipeis

Angelina kennt die besten Küchen für Nudelsuppen und versteckte Tempel in Taipeh. Als Guide der Organisation Greeter zeigt die Studentin Reisenden ihre persönlichen Lieblingsorte in der taiwanischen Metropole.

Eine Stadt nicht als Tourist, sondern mit den Augen einer Einheimischen entdecken. Wer wünscht sich das nicht? „Hello, nice to meet you!“ Angelina empfängt uns mit einem strahlenden Lächeln. Im Schlepptau hat die 22-Jährige eine Bekannte, Yuju, die heute bei den Greeters schnuppert. Angelina studiert International Business in Taipeh, seit seit zwei Jahren ist sie Greeter. Yuju (30) arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus, spricht sehr gut Deutsch und überlegt, ebenfalls Gäste zu führen. „Ich liebe den Kontakt mit Menschen aus aller Welt“, erzählt Angelina in flüssigem Englisch. „Diese gegenseitigen Erfahrungen sind so wertvoll für mich. Lasst uns starten.“

Angelina (links) und Yuju geben persönliche Eindrücke in ihr Alltagsleben.

Greeter: das Wichtigste auf einen Blick

  • Was sind Greeter? Einheimische zeigen ehrenamtlich ihre Stadt aus persönlicher Perspektive – authentisch statt touristisch.
  • Wo gibt es Greeter? In 171 Orten und 47 Ländern weltweit, auch in Taipeh
  • Was kostet eine Tour? Die Touren sind kostenlos, Spenden an die Organisation willkommen.
  • Wie lange dauert sie? In der Regel zwei bis drei Stunden für maximal sechs Personen
  • Was erlebt man? Versteckte Orte, lokale Küche und persönliche Einblicke ins Alltagsleben
  • Wie bucht man? Über die Website der International Greeter gewünschte Stadt anfragen

Terminabsprache per WhatsApp

Den Treffpunkt an der Metrostation Beimen sowie das Programm für unsere dreistündige Tour hat unsere Freundesgruppe mit Angelina vorab per WhatsApp abgestimmt. Zuerst geht es durch die älteste Handelsstraße Taipehs, die Dihua-Straße. Dann nimmt uns Angelina über den berühmten Shilin-Nachtmarkt mit auf eine kulinarische Reise. Dabei lässt sie uns in jeden Moment in das pulsierende Leben der Metropole eintauchen.

Die Greeters-Idee: Von New York in die ganze Welt

Taipeh, Rio de Janeiro, Mombasa: Angebote der Greeters gibt es in 47 Ländern und 171 Orten weltweit. Die Idee, Stadtführungen durch Einheimische anzubieten, wurde 1992 von Lynn Brooks in New York geboren. Die Stadt hatte damals wegen der teilweise hohen Kriminalität einen extrem schlechten Ruf. Brooks wollte dem etwas entgegensetzen und die Stadt in ein gutes Licht rücken. So entstand die sympathische Idee, dass Einheimische Gäste mit auf einen Spaziergang durch ihr tägliches Leben nehmen. Dabei geht es nicht darum, möglichst viele historische Fakten zu vermitteln, sondern ein Gefühl dafür, wie die Menschen in der jeweiligen Stadt leben. Weltweit haben sich bis heute über 3.360 Menschen dieser Idee verschrieben. Die Führungen sind meist kostenlos, Spenden an die Dachorganisation „International Greeter” sind jedoch jederzeit willkommen. Das Motto lautet seit über 30 Jahren: „Komm als Gast, geh als Freund!”

Vertraute Atmosphäre

Immer belebt: die Dihua

Genau das vermittelt uns Angelina vom ersten Augenblick an: eine vertraute Atmosphäre, als würden wir uns schon ewig kennen. In der Dihua-Straße tauchen wir ein in längst vergangene Zeiten, aber auch in den heutigen Alltag der Menschen. Die Straße im Stadtviertel Dadaocheng wird von historischen Fassaden im europäischen Stil gesäumt – eine Seltenheit in dieser Stadt mit ihrer glitzernden Skyline. Die Dihua-Straße war einst das Zentrum des Groß- und Einzelhandels für Tee, Gewürze, Fisch und Stoffe. Diese Güter machten Taipeh reich. Der in den Bergen angebaute Alishan-Tee war der ganze Stolz Taiwans. Bereits im 19. Jahrhundert wurde von hier aus Tee nach Europa und in die USA exportiert. Noch in den 1940er-Jahren gab es in Dadaocheng über 70 Teefirmen.

Die Dihua-Straße in den 1950er Jahren (Screenshot: Taiwan Memory Exhibition)

Dihua-Straße: Handelszentrum für chinesische Arzneien

Während der japanischen Okkupation (1895–1945) siedelten sich in der Straße Textilgeschäfte an, die wertvolle Stoffe aus Japan importierten. Nach dem Ende der Kolonialzeit wandelte sich die Dihua erneut. Sie wurde zum Handelszentrum für chinesische Arzneien und Heilkräuter. Natürlich hat auch der Tourismus die Straße verändert. Heute prägen Souvenir-Shops, Läden mit Räucherstäbchen und Bambusartikeln sowie Geschäfte für chinesische Arzneien und Gewürze das Straßenbild.

Vogelnestersuppe zum Neujahrsfest

Vielfalt in der Dihua: Schürzen im Stoffladen Manoirs und Vogelnester für die Neujahrssuppe

„Für unser Neujahrsfest erledigen wir hier unsere Einkäufe“, erzählt Angelina. „In der Dihua kauft man zum Beispiel Vogelnester, aus denen an Neujahr eine Suppe zubereitet wird.“ Und dann sind da die versteckten Juwelen wie das kleine Stoffgeschäft Manoirs, das wir allein nicht entdeckt hätten. Es besteht seit 138 Jahren und wird aktuell in der 5. Generation geführt. Hier wird noch von Hand genäht. Wir erstehen eine Schürze. Der Laden bietet ab 4 Uhr morgens aber auch Süßigkeiten aus eigener Produktion an – Stoffe und Süßes … Was für eine kuriose Verbindung!

Drama pur auf der Open-Air-Bühne des Dadaocheng-Theaters

Taiwanisch und Mandarin

Ein paar Schritte weiter kommen wir zum bekannten Dadaocheng-Theater. Das Ensemble zeigt gerade eine kostenlose Open-Air-Aufführung der historischen taiwanischen Oper Mutter der Barmherzigkeit und göttliche Heilerin. „Nicht alle Zuschauer verstehen heute noch jedes Wort”, erklärt Angelina. Trotzdem sind die Holzbänke bis auf den letzten Platz belegt. „Mit meinen Großeltern unterhalte ich mich noch in unserer Sprache“, erzählt sie weiter. „Für sie ist es sehr emotional, dass taiwanisch wieder gesprochen werden darf.“ Die ursprüngliche Sprache der Insel war unter japanischer Herrschaft und danach unter dem chinesischen Regime Chiang Kai-Sheks verboten. Sie wurde nur im Verborgenen der Familien weitergegeben. Heute, im demokratischen Taiwan, ist taiwanisch neben Mandarin die anerkannte Nationalsprache.

Fragen nach der großen Liebe

Auch am Xia-Hai-City-God-Tempel, einem wichtigen religiösen Ort Taipehs, machen wir gemeinsam Halt. Dort fallen uns junge Menschen auf, die kleine, halbmondförmige Holzklötze auf den Boden werfen. „In diesem Tempel beten wir für Liebe, eine gute Beziehung oder eine Heirat“, erklärt Angelina. „Die Holzmonde müssen dreimal in einer bestimmten Anordnung auf dem Boden zum Liegen kommen. Erst dann dürfen wir den Göttern die Fragen stellen, die uns bewegen.“ Fragen, wie die nach der großen Liebe.

Vor dem Tempel: Fürbitten für die große Liebe

Shilin-Nachtmarkt: Kulinarische Abenteuer

„Ihr müsst den Stinky Tofu probieren!“ Ein paar Häuserzeilen weiter auf dem Shilin-Nachtmarkt wagen wir uns tatsächlich an den berüchtigten fermentierten Tofu. Schon von Weitem irritiert er unsere Nasen. Zu unserer Überraschung schmeckt er besser, als er riecht. Wir kosten gedämpfte Kuchen aus Schweineblut mit Erdnusskruste und eine Schale köstliche Nudelsuppe. Zum Abschluss gibt es noch einen zuckersüßen Bubble Tea.

Angelina liebt gegrillte Hühnerspieße und glasierte Fruchtstäbe, aber auch Stinky Tofu, serviert mit Kimchi.

Streetfood: günstig und lecker

Das Streetfood auf dem Shilin-Nachmarkt schmeckt köstlich.

Taipeh ist für seine über 100 Jahre alte Tradition der Nachtmärkte berühmt. Auf dem Shilin-Markt reihen sich Streetfood-Stände dicht an dicht. Es wird gegrillt, frittiert und gebrutzelt, und fast alles riecht und schmeckt köstlich. Nachtmärkte gibt es in jedem Stadtviertel Taipehs und auf der ganzen Insel. Natürlich sind sie eine Touristenattraktion, aber vor allem kaufen dort Einheimische auf dem Nachhauseweg nach einem langen Arbeitstag ein. Denn auch das lernen wir von Angelina und Yuju: Streetfood schmeckt gut und ist günstig, und deshalb stellt sich fast niemand jeden Tag zu Hause selbst an den Herd. Die Familien von Angelina und Yuju versorgen sich meist auf dem Nachtmarkt oder essen im Restaurant. Nur zweimal pro Woche kochen die Mütter oder Großmütter traditionelle Spezialitäten.

Man kommt als Gast und geht als Freund

Selfie beim Bubbletea: Angelina (rechts) und Yuju führen uns entspannt durch Taipei. (Selfie: Angelina)

So endet unsere persönliche Reise durch Taipeh mit Greeter Angelina und Voluntier Yuju am Imbissstand. Nach drei Stunden fühlt es sich so an, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Diese besondere taiwanische Art, Gäste hilfsbereit und warmherzig aufzunehmen, heißt „Renqingwei“. Es reicht, unsicher an einer Bushaltestelle zu stehen oder in der Metro am falschen Gleis zu warten. Es gibt hier immer jemanden, der einem ungefragt hilft. Während unserer Tour haben wir nicht nur viel über die Geschichte der Stadt erfahren, sondern vor allem auch darüber, wie die Menschen hier leben. Welche Sprachen sie sprechen, wo sie einkaufen, wie es der Familie geht und was ihnen im Leben wichtig ist. Gerade deshalb sind diese Begegnungen etwas Besonderes: Man kommt als Gast und geht als Freund.

Praktische Informationen: Wer sich für eine Tour interessiert, fragt am besten über die Website von International Greeter die gewünschte Stadt an. Die Touren sind meist kostenlos und Spenden willkommen. Eine Tour für maximal sechs Personen dauert in der Regel zwei bis drei Stunden.

Tipp 1: Kleine Gastgeschenke kommen gut an
Wenn man sich persönlich bei seinem Greeter bedanken möchte, kommt ein kleines Mitbringsel immer gut an. Zum Beispiel Haribo-Gummibärchen oder Ritter-Sport-Schokolade, die in Asien sehr beliebt sind.

Tipp 2: Auch interessant – Free Walking Tours
Neben den Greeters gibt es in vielen Städten der Welt auch Free Walking Tours. Diese sind professioneller organisiert und vermitteln kompakt historisches Wissen. Große Plattformen wie GuruWalk oder Free Tour Community bieten weltweit Touren an. Die Guides arbeiten für Trinkgeld – üblich sind mindestens 10 Euro pro Person.

Titelbild: Flanieren in der Dihua Straße, der ältesten Straße Taipehs

Bilder: Hans Nagel


MEHR STORIES

Slowenien ist gerade mal so groß wie Hessen, aber beeindruckend vielfältig. Kaum verwunderlich, denn das kleine Land grenzt im Norden ... Weiterlesen

Man landet auf Sal und der erste Gedanke ist: Trocken. Verdammt trocken. Eine karge, von der Sonne geküsste und vom ... Weiterlesen

Booking.com

Mehr entdecken aus:

Zurück zu:

Constanze Mauermayer

Autor Kurzvorstellung:

Constanze liebt es, auf Reisen die Welt zu entdecken, Menschen zu treffen und Geschichten zu erzählen. Die Journalistin freut sich, ihre Erlebnisse auf den Reise-Stories zu teilen. Bei der Auswahl ihrer Ziele hält sie es mit der Schriftstellerin Susan Sontag, die einmal gesagt hat: „Ich war noch nicht überall, aber es steht auf meiner Liste."

Hinweis: Dieser Beitrag wird regelmäßig von Mitgliedern der Reise-Stories Redaktion wie Heiner Sieger, Gerhard Fuhrmann und Jupp Suttner auf Richtigkeit und Vollständigkeit geprüft. Falls Sie Anmerkungen zu diesem Beitrag haben, kontaktieren Sie bitte direkt hier die Redaktion.

Dieser Beitrag enthält möglicherweise Inhalte, die im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit Marken, Hotels oder Partnern entstanden sind.

INTERESSANT FÜR SIE

Tipp_Restaurant_Hotel_finden

Keine Reisetipps mehr verpassen? Abonnieren Sie unseren monatlichen Newsletter! Entdecken Sie als Local oder auf Reisen die besten Restaurants, Bars, Hotels, Events oder Freizeitaktivitäten!

Ich stimme den Datenschutzbedingungen zu.