Wales ist die wahre Heimat des legendären König Artus und seiner furchtlosen Ritter der Tafelrunde, Englands am „besten gehütetes Geheimnis“, obwohl hier überall die Menschen ihre Liebe zum Geschichtenerzählen nicht verbergen. Ein Land der Sagen und Legenden, ein Land voller Burgen, Schlösser, Dichter und Poeten, in dem der Naturliebhaber, aber auch der Aktivurlauber auf reizvollen Routen dem roten Drachen, dem walisischen Wahrzeichen, auf der Suche nach dem Heiligen Gral begegnet. Seit 1999 entscheidet Wales über seine eigenen Angelegenheiten mit einem gewählten Regionalparlament, dass die Entwicklung vom Kohle- und Agrarland zum Hightech-Country förderte. Unternehmen aus Japan, Amerika und Europa siedelten sich hier an, weil die Arbeitskräfte billig, Büroflächen ausreichend vorhanden und rundherum ein attraktives Urlaubsland lockt. Zwei Drittel der Bevölkerung lebt in Südwales und Pembrokeshire.

Eine Reise von Cardiff entlang der Küste bis hinauf nach Fishguard zeigt ein Land voller Poesie und Leidenschaft, schillernde Begegnungen mit gastfreundlichen Menschen und eine fast mystisch anmutenden Landschaft, die in Geschichten und Traditionen zum Ausdruck kommt. Wales ist anders, und die Waliser sind stolz auf das „gewisse Etwas“, das sie umgibt. Frei nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ hat die walisische Regierung jetzt das Jahr 2023 unter das Thema „Year of Trails – Jahr der Wege“ gestellt. Und was würde sich dafür besser anbieten, als das Land im Westen Großbritanniens zu Fuß auf alten und wiederentdeckten Wander- und Pilgerrouten neu zu erkunden?
Land der Burgen

Auf der M4 geht es nach Westen, bei Pontarddulais biegt man auf die A 484 und folgt der malerischen Küstenstrasse vorbei an Llanelli bis Kidwelly. Wales hat mehr Burgen pro Quadratkilometer als jedes andere Land der Welt. Kidwelliy Castle, 15 Kilometer südlich von Carmarthen, thront über der Mündung des Flusses Gwendraeth und ist eines der schönsten Schlösser in Wales. Durch die normannische Küstenfestung aus dem 12. Jahrhundert, erzählen noch heute die Einwohner des verträumten Ortes, geistert der kopflose Körper der tapferen Gwellian, die die Burg einst mit einer Handvoll Bogenschützen gegen ein ganzes Heer verteidigte. Die mit Efeu überwucherten Mauern, ein halb versunkenes Boot am Fluss, die Raben, die durch das Gemäuer flattern: Vergangenheit wird lebendig.

So auch in Laugharne Castle an der Mündung des River Taf. Die imposante Burg wirkt weitaus bedrohlicher, die breite Bucht, die dichten Laubwälder undurchdringbar. Nur einige Hundert Meter weiter liegt das Boat House des berühmten Dichters der Waliser, Dylan Thomas. Hier hat er den Stoff für sein großes Portrait der walisischen Seele „Unter dem Milchwald“ gefunden, seine letzten vier Jahre verbracht, ehe er, vom Alkohol gezeichnet, auf einer Lesereise in New York 1953 starb. Das Haus ist zu einem romantischen Museum geworden, auf dem Dylan´s Walk kann man auf den Spuren des genialen wie labilen Dichters wandern. Erst seit ein paar Jahren gibt es von einer großen Cardiffer Brauerei ein Bier namens „Dylan´s“, Ausdruck des ambivalenten Verhältnisses vieler Waliser zu ihrem geliebt-gehassten Dichter, der ihnen so schonungslos den Spiegel vorgehalten hat. „Though lovers be lost love shall not; And death shall have no dominion,“ klingt seine unsterbliche Stimme durch die Bucht.
Der Pembrokeshire Nationalpark
Robert Recorde war der berühmteste Mann aus Tenby, dem malerischen Küstenort am Tor zum Pembrokeshire Nationalpark. Der Mathematiker hat das Gleichheitszeichen in die Mathematik eingeführt, die sanft geschwungene Bucht, die pastellfarbenen Häuser, eine vollkommene landschaftliche Harmonie umgibt das Städtchen. Mittelalterliche Gassen auch hier, hübsche kleine Läden und ein zwei Kilometer langer Sandstrand am South Beach, der selbst im Sommer nicht überlaufen ist, zeugen von jener Harmonie, die Recorde in die moderne Mathematik eingeführt hat. Von der Carmarthen Bay zieht geht es hinein in den Pembrokeshire Nationalpark, den einzigen in Großbritannien, der sich unmittelbar entlang der Küste erstreckt. Er ist der kleinste, aber auch der schönste von allen. Atemberaubende Steilküstenwanderwege, unvergleichliche Panoramen gibt es hier zu sehen, eine Küsten- und Buchtenvielfalt, von der manches Mittelmeerland nur träumen kann. Und alle Variationen von Grün und Blau, die das Auge sich nur ausmalen kann. Nicht umsonst gibt es in der walisischen Sprache sechs verschiedene Wörter für Grün. Am St. Govan´s Head an der äußersten Südspitze begegnet man wieder der Artus-Sage.

An der dramatischen Steilküste, umrauscht von den Meereswogen und zwischen zwei riesige Felsen gebaut, liegt St. Govan´s Chapel, eine graue Steinkirche, in der Artus-Neffe Gawain begraben sein soll. Ein magischer Ort, an dem der Heilige St. Gobhan schon im 6. Jahrhundert Zuflucht gesucht hat. Im Westen an der St. Bride´s Bay findet man weite, endlose Sandstrände und kleine Orte wie Druidston und Nolton, in die nur wenige Touristen ihren Fuß setzen.
Der Heilige David
Wer an die Westküste gelangt ist, für den führt kein Weg vorbei an Großbritanniens kleinster Stadt, Tyddewi oder St. David´s, das dank seiner Kathedrale und seinem Schutzheiligen von Wales eine bedeutende Pilgerstätte geworden ist. „The gateway to heaven“ wird es genannt, zweimal hierher ist so gut wie eine Rompilgerfahrt, dreimal ersetzt die Pilgerreise nach Jerusalem.

Der ganze Ort wird von der erhabenen Atmosphäre der Kathedrale aus dem 6. Jahrhundert bestimmt, ohne belehrend zu wirken. Mediterranes Flair mit Surfern und Seglern im Sommer, Wanderern und Naturschützern im Frühling und Herbst verbindet sich mit tiefer Religiosität zu einer Mischung von spielerischer Kontemplation. Die aus dem 450 Millionen Jahre alten Sandstein der Insel erbaute Kathedrale, ihre Holzreliefdecke aus 450 Jahre alter irischen Eiche und die im Gebäude herrschenden vier Meter Gefälle sind ein Erlebnis. Und die Sagen über den Heiligen David nicht weniger. Vor seinen Predigten flog eine Taube durch den Raum, damit alle ruhig waren, während einer Predigt entsprang eine Quelle zu seinen Füßen und weil er sehr klein war, hob sich unter ihm der Boden, damit ihn alle sehen konnten. Unglaublich? Nicht in Wales. Genauso wenig wie die letzte Invasion Britanniens vor 202 Jahren etwas weiter nördlich in Fishguard. Hier feiert man alljährlich die tapfere Jemima Nicholas, die mit ihren Landfrauen, Mistgabeln und Teppichklopfern bewaffnet die Franzosen in die Flucht schlug.

Verlassen sie nicht das Land des roten Drachen, ohne die Geschichten und Legenden gehört zu haben, vom Kampf des roten gegen den weißen Drachen, von Merlin und dem giftigen grünen Drachen. Auf dem Weg zurück nach Cardiff, durch wilde Täler und einsame Schluchten im Landesinneren besuchen sie in der Nähe von Llandeilo Bernard Llywelyn und sei Castle Carreg Cennen. Der Landwirt führt sie in eine Höhle unterhalb der Burg, tief in den Fels hinein. Dort unten gibt es einen Wishing Well, einen Brunnen, dessen Wasser ewige Jugend verspricht. Wer das spitzbübische Lachen von Bernard vernommen hat, glaubt daran. Bei Artus und den Tafelrittern – Iechyd da dymuniadau gorau – Gesundheit und alles Gute.

Wiederentdeckte Pilgerwege
Frei nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ hat die walisische Regierung jetzt das Jahr 2023 unter das Thema „Year of Trails – Jahr der Wege“ gestellt. Und was würde sich dafür besser anbieten, als das Land im Westen Großbritanniens zu Fuß auf alten und wiederentdeckten Pilgerrouten neu zu erkunden? Insgesamt warten in ganz Wales mehr als 2.500 Kilometer Pilgerwege auf wanderfreudige Gäste. Die Routen reichen von leichten Tagesetappen (11 km) über mehrtägige Touren, wie auf dem Anglesey Pilgrimage von Caernarfon nach Holyhead (128 km), bis hin zum Welsh Cistercian Way, einer Pilgerroute auf den Spuren der Zisterzienser, die als Rundweg auf über 1.080 Kilometern durch das gesamte Land führt. Die Pilgerwege führen vorbei an prähistorischen Steinkreisen, jahrhundertealten Steinkreuzen, Kirchen und Kathedralen, heiligen Quellen, Brunnen oder durch alte Wälder und zu Wallfahrtsorten – der berühmteste: St. Davids Cathedral und Bishop’s Palace in Pembrokeshire, benannt nach dem Heiligen David, dem Schutzpatron von Wales. Er war im frühen 6. Jh. einer der Pioniere der Christianisierung. 1120 hatte ihn Papst Calixtus II. heiliggesprochen und zwei Pilgerreisen nach St. David’s einer Wallfahrt nach Rom gleichgesetzt. Weniger bekannt sind Orte wie Holywell, das walisische Lourdes. Die Heilkräfte der Quelle St. Winefride’s Well nutzten schon die Römer, später pilgerte König Heinrich V. im Jahr 1416 hierher und Margaret Beaufort, Mutter König Heinrichs VII., stiftete 1490 die Pilgerkapelle. Oder der St. Illtyd’s Way, der im Süden entlang der eindrucksvollen Glamorgan Heritage Coast verläuft (123 km). Er startet im idyllischen Küstendorf Llantwit Major, in dem der Heilige Illtyd im 6. Jh. eine Missionsschule gründete, die als frühestes Bildungszentrum Großbritanniens gilt.

Ein neuer, wiederentdeckter Weg ist der Penrhys Pilgrimage Way. Er führt von der walisischen Hauptstadt Cardiff ins 34 Kilometer entfernte Penrhys im Rhodda Valley. Dieser alte Pilgerweg ist seit 2022 wieder begehbar, dank der Initiative einer lokalen Wohltätigkeitsorganisation, die sich des Projektes annahm, den historischen Pilgerpfad wiederherzustellen. Mit Hilfe von Historikern kartierten Freiwillige die Route, befestigten Wege, beseitigten Hindernisse und stellten Wegweiser auf. Unterteilt in sechs Abschnitte, haben Wanderer an verschiedenen Stellen auch Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Route startet an der Westpforte der Llandaff Cathedral in Cardiff und führt durch wechselnde Landschaften zu einer der wichtigsten Pilgerstätten für Gläubige im Wales des 15. Jahrhunderts: Der Statue der Jungfrau Maria mit Kind, „Our Lady of Penrhys“, die auf einem Hügel mit Blick über die Täler von Südwales wacht. 1538 wurde die ursprüngliche Statue auf Befehl von Thomas Cromwell während der Reformation in London verbrannt, das heutige Standbild stammt aus dem Jahr 1953. Ein besonderes Highlight ist Bardsey Island: Schon vor Jahrhunderten folgten Pilger von Caernarfon aus der Küste der Halbinsel Llŷn bis ins Fischerdorf Aberdaron, um nach Ynys Enlli überzusetzen. Drei Wallfahrten nach Bardsey zählten so viel wie zwei nach St. David’s oder eine nach Rom. Jahrhundertelang war das kleine Eiland Zufluchtsort verfolgter Mönche und Grabstätte von Bischöfen und Gläubigen, weshalb Bardsey den Beinamen „Insel der 20.000 Heiligen“ trägt. Heute können Reisende auf der Insel in hübschen Cottages nächtigen, den Trubel des Alltags hinter sich lassen und sich auf das Wesentliche konzentrieren – eines der Ziele der Pilgerbewegung und ganz nach der Maxime von St. David und ganz Wales: „Do the little things“ – denn auf die kleinen Dinge im Leben kommt es an.
Allgemeine Informationen über Wales unter www.visitwales.com/de

Übernachtungstipp und ausgezeichnetes Restaurant: The Cawdor, 72 Rhosmaen Street, Llandeilo SA19 6EN, Tel. +44-1558823500, www.thecawdor.com